Flexibel, freudig, frei - Joe Fonda

Reprinted with permission. Copyright © Jazz Podium and Gudrun Endress.

December 2011 by Gudrun Endress for Jazz Podium

Der Bassist Joe Fonda erlebte durch die Zusammenarbeit mit Anthony Braxton eine erhebliche Steigerung seiner Kreativität. Aufgrund seines breiten stilistischen Spektrums von Blues und Rock über Mainstream Jazz bis zur Jazz-Avantgarde wurde er zu einem der flexibelsten Bassisten der heutigen Szene. Er entwickelte ein starkes Bewusstsein für strukturelle Getsaltung und eine spezielle Sound-Perspektive. Seine Hingabe an die Musik ist stets spürbar, das Musizieren dient für ihn einem höheren Zweck, es gilt das Ego zurück zu schrauben und eine spitituelle Erfahrung zuzulassen. Trotz aller engagierten Ernsthaftigkeit beim Musizieren hat er sich das freudige, spielerische Element bewahrt. So ist u.a. eines seiner Kennzeichen das Mitsummen bei seinem kraftvollen, warm klingenden Bassspiel.

Joe Fonda, es macht Spaß Sie beim Kontrabassspielen mit ihrem gleichzeitigen Mitsummen zu erleben...

...es gibt so einige Leute, die sagen: Joe sei still und konzentriere dich aufs Bassspiel! Es ist schön zu wissen, dass es aber mehr Leute mögen als ablehnen.

Das ist ein Element, das durch eine große Zeitspanne im Jazz ging, angefangen von Slam Stewart über Major Holley. Summen Sie das, was Sie spielen den Bruchteil einer Sekunde eher?

Das ist eine gute Frage. Ich denke, es kommt fast unmerklich früher, einen Bruchteil einer Sekunde vorher, bevor ich es spiele. Ganz oft ist es für mich rhythmisch verbunden mit dem, was ich spiele. Slam Stewart und Major Holley sangen "in harmony" mit sich selbst, das mache ich aber nicht. Manchmal kann es schon in melodischem Unisono geschehen, bisweilen aber auch in einer ganz anderen Tonhöhe, ich habe so gut wie keine Kontrolle darüber. Aber das Rhythmische ist vorrangig die Verbindung zu meinem Bassspiel... Ich glaube ich höre diesen Rhythmus nur ganz wenig voraus.

Und in welchem Moment summen und singen Sie zum Bassspiel?

Ich glaube, es ist öfter der Fall, wenn ich solo spiele. In diesem Prozess singe ich mehr, manchmal mache ich es auch in der Rhythmusgruppe, wenn ich ein bestimmtes rhythmisches Konzept verfolge. Aber meist summe ich beim Solospiel mit.

Haben Sie es bei den Aufnahmen im Studio für eine neue CD mit Patrick Bebelaar und Herbert Joos gemacht?

Ich war mir dabei dessen sogar bewusst, denn es gab einen Moment, in dem ich mich ertappte es tun zu wollen, ich sagte mir aber, besser nicht, das ist eine Aufnahmesitzung, bei der die Mikrophone so nah sind. So habe ich es im letzten Moment unterdrückt. Vielleicht hätte ich das nicht tun sollen, aber ich tat es in dem Moment, in dem ich mir dessen bewusst wurde im Studio, und ich spürte, dass es jetzt gleich mit dem Summen losging. Ich habe auch nicht so viele Basssoli bei den Aufnahmen gespielt, denn die Konzeption der Musik war sehr stark legato, sehr relaxed und stimmungsvoll, wenn sich aber die rhythmische Energie entfaltet, dann kann ich mich kaum bremsen zu summen.

Sie sind seit ein paar Jahren mit Patrick Bebelaar vertraut, haben mit ihm wiederholt gespielt und Aufnahmen gemacht, die Mitte nächsten Jahres bei Double Moon Records erscheinen werden. Was schätzen Sie an diesem krativen, eigenständigen Pianisten besonders?

Zuerst einmel sein Feeling. Wenn Patrick anfängt zu spielen, merkst du dass das Piano seine Seele und sein Herz ist. Er spielt mit so unheimlich viel Gefühl. Beim Konzert letzte Nacht pausierte ich, als es ein Solostück spielte, und ich merkte dabei wieder einmal wie fokussiert er auf sein Spiel ist und wie viel Feeling er in seine Töne legt. Herbert Joos macht das Gleiche, aber auf ganz andere Art. Die beiden spielen mit so unglaublich viel Feeling. Und Herbert macht so viel mit der Luft, es ist wie ein Lebenshauch, der aus seinem Flügelhorn heraus kommt, die Luft und das Vibrato kreieren so viel Feeling. Wie Patrick die Töne anspielt, das spürst du direkt in deinem Körper. Das ist ist zuerst einmal das, was ich am meisten liebe. Und das zweite ist, dass ich in dieser Gruppe mit Herbert und Patrick ein Konzept verwirklichen kann, in dem manchmal weniger mehr ist. Bei den meisten Projekten, in denen ich involviert bin, wird von mir erwartet, dass ich sehr viel spiele und meist wird es noch viel mehr, was ich spielen soll, ich bin da meist für den rhythmischen Puls und die Energie zuständig. Doch mit Patrick und Herbert konnte ich wieder einmal erleben, dass weniger mehr bedeuten kann. Somit habe ich Gelegenheit dieses Konzept auszuloten.

Ist es nicht so, dass wenn man reifer und erfahrener als Musiker wird, dazu tendiert, das aus dem Spiel heraus zu kristallisieren, was einem als das Wesentliche erscheint?

Du wirst in deinem Spiel ökonomischer, das stimmt. Du erkennst, dass du nicht so viel sagen musst, um das auszudrücken, was du mitteilen willst. Und genau das erfahre ich im Zusammenspiel mit Herbert und Patrick.

Haben Sie in diesem Trio den Gesamtsound erlebt, den Sie erwarten oder zu erreichen suchen?

Er wächst und entwickelt sich kontinuierlich weiter. Das Konzert gestern Abend zeigte, dass wir ein neues Energieniveau erreichten und die Plattensitzung pushte uns sogar noch auf ein höheres Level. Das Energielevel wächst immer weiter an wenn wir spielen und das ist wichtig, das zeigt Wachstum und Weiterentwicklung. Die Musik ist sehr frisch, ebenso die ganze Konzeption, das würde ich gerne einmal dm New Yorker Jazzpublikum präsentieren.

Ist diese Musik sehr stark europäisch gefärbt?

Sie besitzt eine europäische Ästhetik, zwei dre Musiker sind Europäer, das ist ihre Kultur, das ist in ihrer Musik. Für mich ist es so schwierig, das genau zu definieren, denn es überlappt sich da so viel. Die Art und Weise wie Herbert Joos spielt, lässt nicht darauf schließen, woher er stammt. Wenn er hinter einem Vorhang auftreten würde, und die Leute müssten raten, woher er kommt, könnten sie das wohl nicht. Denn es gibt so viele verschiedene Einflüsse in seinem Spiel...

...ja von Miles Davis über Chet Baker. Er spielt sehr persönlich, ebenso eigenständig ist er als bildender Künstler.

Seine Bilder sind bewundernswert, unglaublich. Seine Illustration vo Einstein, sieht für mich aus wie eine Fotografie. Ich habe sie Zuhause auf meinem Schreibtisch stehen und wenn ich sie anschaue, denke ich jedes Mal, das ist perfekt. Wie kann ein menschliches Wesen das schaffen?! Sein Trompetenspiel ist wie seine bildende Kunst total persönlich und er versteht es mich in beiden Kunstformen stark zu berühren, mit seinen Zeichnungen, seinen Gemälden, seinem musikalischen Spiel. Ein ganz spezieller Künstler.

Sie sind ein ganz erfahrener Musiker, gibt es dennoch manchmal Situationen, in denen Sie sich fragen, was Sie in diese oder jene Musik am besten einbringen können? Mchen Sie sich Gedanken, ob das was Sie spielen mit dem, was die anderen spielen, wirklich zusammenpasst?

Ich würde sagen: Ja. Je länger ich spiele, desto mehr habe ich gemerkt, dass ich nach neuem Matrial Ausschau halte. Wir haben alle Dinge erarbeitet, die wir spielen. Ich möchte nicht sagen, dass das licks sind, aber jeder hat gewisse Dinge, die er immer wieder macht. Wenn du Charlie Haden oder Miroslav Vitous hörst, dann nimmst du solche für sie kennzeichnenden Dinge wahr. Ich versuche in neue Gefielde vorzustoßen, nicht immer das gleiche zu spielen. Und das, was ich spiele, geht auch in neue Dinge über. Es ist eine Herausforderung, dass du dich nicht allzu komfortabel einrichtest, in dem was du spielst, sondern du musst dich selbst in neue Gebiete hinein pushen.

Ihre Zusmmenarbeit mit Anthony Braxton hat Sie bestimmt in neue Gebiete geführt, in andere Dimensionen.

Gewiss, die Erfahrung, die ich mit Anthony Braxton machte, ist einmalig. Ich kannte seine Musik schon sehr gut, bevor ich überhaupt anfing mit ihm zu spielen, ich beschäftigte mich mit seinem Schaffen sehr viel, hörte intensiv seine Aufnahmen. Ich analysierte seine kompositorische Vorgehensweise und sein Improvisationskonzept. Ich lernte verstehen, wer er war und ist, und wie seine Konzeption ist, bevor sich mit ihm spielte. Als ich mich der Band anschließen konnte und dann 10 Jahre mit ihr spielte, führte er mich in ganz andere Tiefen hinein als die, die ich zuvor schon entdeckt hatte. Es war eine Reise in eine ganze Welt von Musik, die seine ureigenste ist. Und ich lernte enorm davon.

Sagte Braxton denn explizit, was er von Ihnen erwartete? Wie Sie sich anpassen, einbringen sollten?

Wenn man ihm eine Frage stellt, dann beantwortet er sie. Es kann sein, dass du seine Antwort nicht richtig verstehst. Aber seine Einstellung ist die, dass wenn er dir gestattet in seine Musik einzudringen, dann lässt er dich deinen eigenen Weg finden und lässt dich Antworten auf deine eigenen Fragen finden, wie etwa die: Wie spiele ich mit ihm? Was ist richtig, was ist falsch. Er lässt dich also eine Reise in seine Welt unternehmen, auf der er dich fast unmerklich führt. Er Diktiert dir nichts. Es ist eine spezielle Erfahrung für alle Musiker, die mit ihm spielen konnten.

Diese Erfahrungen, die Sie mit Braxton machten, sind wahrscheinlich noch allgegenwärtig, gehören zu Ihrem Vokabular und Sie bringen sie in die Zusammenarbeit mit anderen Musikern ein.

Ja sicher, sein Einfluss ist überall in meiner Musik zu spüren. In all meinen anderen Projekten, ja sogar in meiner Art zu komponieren zeigen sich diese Einflüsse. Nicht allein die Lektionen, die ich von Braxton lernen konnte, auch die von Leo Smith sind präsent, denn Leo war auch jemand, mit dem ich spielte, und der meine Musik prägte. Wenn ich an spezielle Lektionen von Braxton denke, dann war eine der wichtigsten die Fokussierung, die Konzentration, die man in einer Performance erreichen kann. Als ich mit ihm zusammen war, nannte er seine Musik Ghost Trance Music. Das war eine bestimmte Periode, in der er oftmals mit umfangreicheren Gruppen arbeitete. Er formierte spezielle Gruppierungen, so waren etwa er, Kevin Norton und ich eine der Gruppen, dann stellte er etwa drei Saxophonisten zusammen, und innerhalb des Tentetts, das die Ghost Trance Einheit ausmachte, gab es die verschiedensten Gruppierungen. Ich stand meist ganz nahe bei ihm und wir spielten so wie eine kleine Einheit innerhalb der großen Formation. Ich hatte das Glück sozusagen sein engster Partner zu sein, und konnte somit seine enorme Fokussierung wahrnehmen. Sie zog mich mit ins Geschehen hinein, und mein Knzentrationsniveau schnellte damit enorm hoch. Es funktionierte sozusagen wie ein "Aufzug", wir bewegten uns nach oben, immer weiter in die Höhe. Das ist eine Lektion, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Die Erfahrungen, die du in einer solchen Situation machst, in der die Musik kreiert wird, sind die nachhaltigsten beim musikalischen Erlebnis.

Sie arbeiten auch immer wieder mit Sängerinnen. Wie empfinden Sie den Unterschied zwischen der Arbeit mit Sängerinnen im Gegensatz zu ausschließlich Instrumentalkollegen?

Zuerst einmal gab und gibt es für mich niemals in der Musik eine Trennung. Von der Minute an, in der ich zu meinem Abenteuer in den Jazz aufbrach, fühlte ich keinen Unterschied zwischen Musik von Betty Carter und der von Anthony Braxton. Ich hörte und beschäftigte mich intensiv mit Anthony Braxton zur selben Zeit, in der ich Betty Carter Platten hörte. Das Kontinuum der Musik ist für mich alles Teil ein und desselben. Es macht für mich alles Sinn. Zwei meiner Träume wurden wahr, der eine war meine Zusammenarbeit mit Braxton, der andere war das Spiel mit Betty Carter. Aber leider war sie schon nicht mehr am leben als ich mich besser in der New Yorker Szene behaupten konnte. Aber zumindest hat sich ein Traum erfüllt: das Miteinander mit Braxton.
Wie kann ich die Frage nach dem Unterschied beantworten?! Gibt es wirklich einen Unterschied beim Spielen mit Instrumentalisten oder Vokalistinnen? Von der Konzeption her passt du dich in jeder Situation an. Du bringst das gleiche Maß an Fokussierung, Energie, Konzentration ein und verfolgst das gleiche Ziel. Ob ich mit Braxton spiele oder mit einer Sängerin arbeite - ich gehe das mit der gleichen Haltung an. Sicher spielst du da nicht die gleichen Dinge, du wechselst von einem musikalischen Konzept zum anderen, aber die Einstellung zum Musikmachen ist für mich immer die gleiche. Ich komme von einer richtig groovenden Tradition her, meine Time ist stark, ebenso mein Swing. Eine Menge Musik, die groove-orientiert war stand am Anfang. Dann bewegte ich mich in Richtung Leo Smith und Anthony Braxton und da war der Groove gewiss nicht die Essenz der Musik, aber es besteht trotzdem eine Verbindung zum Groove. Ob ich James Browns "I feel good" oder Anthony Braxtons Komposition "191" spiele, es besteht immer noch ein roter Faden.

Erfordert es mehr Krativität mit den modernen, den Avantgardemusikern zu spielen als mit den stärker der Tradition verhafteten? Denn wenn Sie den Groove im Fokus haben, denn wiederholen si sich viel eher.

In diesem Sinne haben Sie Recht. Wenn ich mit Conference Call, dem Projekt mit Gebhard Ullmann und George Schuller spiele - es ist eines meiner am meisten favorisierten Projekte heutzutage - dann ist das eine Gruppe, die alles anwendet: Time, Groove, wirklich tiefen Groove und auch kollektive Improvisation, für die du ein anderes Vokabular brauchst. Mit Conference Call kannst du beispielsweise etwas spielen, das sich ständig wiederholt, dann gibt es danach eine Komposition, in der du nichts wiederholen kannst, denn die Musik erfordert eine neue Sprache. Um die mehr zeitgemäßen Konzepte zu spielen, brauchst du mehr Kreativität, du musst die Sprache verstehen und das, was sie erfordert. Du musst das Vokabular dafür beherrschen. Es ist ein umfangreiches Vokabular, es stammt von den freien Improvisatoren aus Europa aus den 60er und 70er Jahren, und ebenso von denen in Amerika, beispielsweise von Braxton und Leo Smith, Dave Holland. Doch das überlappte sich, alle suchten nach einem neuen Vokabular. Du musst dir die Zeit nehmen, verstehen zu lernen, was es damit auf sich hat. Ich habe viele Erfahrungen machen können mit Leuten, die so genannte Free Improvisation machen wollten, aber sich nicht darauf verstanden, weil sie in der Tradition verwurzelt waren. Du kannst, wenn du etwa im Bebop verwurzelt bist, nicht einfach mit Braxton zusammen spielen, es sei denn du nimmst dir sie Zeit heraus zu finden, um was es da geht, sonst hast du nicht das Voakbular und du hast auch nicht das Verständnis dafür, das du brauchst, damit es funktioniert.

Sie können mit so vielen verschiedenen Musikern der Unterschiedlichsten Stile spielen und sie mögen alle das, was sie spielen. Sie haben auch anfänglich Rock favorisiert.

Ja, daher kam ich ursprünglich, ich war ein Allman Brothers Fan, spielte E-Bass und das mache ich bisweilen heute noch, u.a. mit einer ganz bekannten Blueskünstlerin, mit Debbie Davis. Der Rock ist eine Erweiterung des Blues. Das hält auch meine Verbindung zur Tradition aufrecht.